Der Untergang von Ylkis
Jens Link to heading
Es war eigentlich eine gute Idee. Wie alle genialen Dinge war sie einfach. Die Natur hatte es schließlich vorgemacht, was sollte also schiefgehen?
Jens war ein Experte Für künstliche Intelligenz, er hatte sich schon zu Beginn seines Studiums alle Informationen zu diesem Thema angelesen, hatte schon lange die Idee, die er nun verwirklichen konnte. Was war Intelligenz? Jens wusste es auch nicht, aber wusste es denn die Natur? Wie konnte die menschliche Intelligenz als Resultat von gesteuerten Zufällen aus den Amöben hervorgehen? Konnte man nicht einige einfache Regeln definieren und dann alles dem Zufall überlassen? Reichte nicht ein ganz einfacher Elementar-Algorithmus aus, der sich nach diesen Gesetzen selbst verbesserte und kontinuierlich erweiterte? Jens dachte an das “Game of Life” von Conway, einen “zellulären Automaten”, wo eine ganz simple Regel aus einem Chaos eine Pseudowelt mit komplexen Strukturen schuf.
Jens suchte einen Algorithmus und stellte Regeln auf, machte sich aber über deren Vollständigkeit und etwaige Nebenwirkungen keine Gedanken. Er wollte das die Sache lief, wohin, würde man ja später sehen. Mittlerweile konnte er auch einen Rechner der neuesten Generation verwenden, um seine Ideen in die Tat umzusetzen. Die Hardware dieses Rechners war ein einziges Superlativ, jedoch existierte keine Software, welche die Parallelverarbeitung seiner vielen Komponenten koordinierte. Jens definierte nur ein paar “Naturgesetze”, die in diesem System gelten sollten, startete das System und überließ es sich selbst, hinterließ eine Ursuppe dessen, was einmal Intelligenz hervorbringen sollte. Anschließend verließ er das Haus, um endlich wieder einmal etwas Richtiges zu essen. In seiner Erschöpfung übersah er beim überqueren der Straße einen Lastwagen. Davon spürte er jedoch nicht mehr viel.
Kyr Link to heading
Kyr lebte in Tryl, der Hauptstadt von Ylkis und war ein allgemein geschätzter Philosoph. Wie alle Philosophen von Ylkis - und beinahe alle Ylkianer waren Philosophen, denn in seiner Welt gab es keine Existenznöte - war er auf der Suche nach den Rätseln seiner Welt, nach einem höheren Wesen, dem Ursprung aller Dinge.
Er hatte eine Entdeckung gemacht, die er heute in der Synagoge von Tryl vortragen wollte. Sie stand in Verbindung mit dem Mysterium “Copyright by Jens Weber”, einem eigentümlichen Muster am Himmel von Ylkis, das so ziemlich das einzige war, was in dieser recht unbeständigen Welt von Bestand war. Generationen von Philosophen rätselten über diese absolut unverständliche Botschaft und kamen zu keinem Ergebnis. Sie war ein Symbol der Ewigkeit, ein Fußabdruck Gottes, aber was sollte sie bedeuten?
Auch Kyr hatte sich fast sein ganzes Leben damit beschäftigt, wie auch die meisten seiner Vorfahren. Mehr und mehr wurde es zur Bestimmung aller Einwohner von Tryl, dies ewige Geheimnis zu ergründen. Nun bis heute; denn Kyr glaubte die Lösung gefunden zu haben. Er hatte sich viele Zyklen mit der schwarzen Pforte beschäftigt, einem Tor das viele verlassen hatten, ohne dass jemals einer zurückgekommen wäre. Andererseits wurden hier immer wieder die seltsamsten und total unvollständige Erscheinungen beobachtet.
Häufig zeigten sich hier Botschaften, die mit der Frage aller Fragen in Verbindung stehen würden, Dinge wie “RUN” und “LIST”, ja sogar ein “Karl Schuschlik was here” wollten einige einmal vernommen haben. Viele Philosophen wurden wegen Gotteslästerung gelöscht, weil sie unhaltbare Thesen über Botschaften aus dem Portal verbreiteten.
Einige Botschaften waren aber auch so bedeutend, das bestehende Philosophien für immer hinweg gefegt wurden. So hielt man lange “Jens” Für den Namen von “Ihm”, als jedoch bald darauf ein “DELETE B*.*” durchs Tor kam und alle Einwohner von Brzl verschwanden, wurde es unter Todesstrafe verboten, “Ihm” einen Namen zu geben. Die Einwohner von Brzl waren nämlich die größten Verfechter der alten These, Gott hieße “Jens”.
Nun, Kyr hatte jedenfalls sämtliche Botschaften studiert, die je durchs Tor gelangten, stellte fest, daß alle göttlichen Strafen und Gebote durchs Tor kamen und nannte das Tor den “Mund Gottes”. Eine Logik ließ sich allerdings in den Botschaften nie erkennen. Kyr folgerte, das Gott zwar allmächtig sei, aber nicht intelligent sein könne. Wie aber konnte ein schwachsinniger Gott die Welt erschaffen haben? Nun, vielleicht hatte er ja gar nicht! Vielleicht war die Welt das Ergebnis von koordinierten Zufällen? Vielleicht war Jens nur der Name eines dummen Kindes, das mit der Ursuppe herum gespielt hatte?
Obwohl diese These gotteslästerlich war, reformierte sie die Philosophie von Ylkis, weil das Tor immer neue Beweise für die Schwachsinnigkeit der Gottheit bereithielt, ja besonders in letzter Zeit häuften sich die total unsinnigen Nachrichten.
Der Flohmarkt Link to heading
Harri Panne wollte einen Computer. Billig sollte er sein, superschnelle Hardware und enorm viel Speicher sollte er haben. Von Software verstand Harri nicht sehr viel, wollte er auch gar nicht. Genau genommen wußte er nur, daß man sie mit einem Computer selbst programmieren konnte. So ging er auf den Flohmarkt und entdeckte den Rechner von Jens, der hier von dessen Bruder Karl, einem ewigen Betriebswirtschafts- Studenten, der sich eigentlich nur mit Gastwirtschaften auskannte, feilgeboten wurde. Karl wollte das nutzlose Ding, das ihm als Hinterlassenschaft seines Bruders nur im Weg rumstand, möglichst schnell loswerden. Er hatte den Computer auch mal eingeschaltet und fasziniert beobachtet, wie nach dem Eintippen seines Namens Unmassen kryptischer Zeichen und Symbole über den Bildschirm huschten und damit gar nicht mehr aufhören wollten, aber statt sich darüber Gedanken zu machen, schaltete er das Ding- das wohl möglich ab kaputt war- sofort wieder ab. Auf dem Flohmarkt würde er schon einen Dummen finden.
Den ganzen Tag stand Karl nun schon hier herum und absolut niemand wollte das Ding haben. Bis auf einige Schüler, die sinnlose Befehle wie LIST, RUN oder ihre Namen eingaben ohne das irgendeine Reaktion außer offensichtlichen Bildstörungen erfolgten, interessierte sich niemand dafür.
Doch nun kam Harri Panne und man wurde sich schnell handelseinig, Harri zahlte 50 Mark und freute sich über den so billig erstandenen Computerschrott. Zuhause versuchte er einige Tage lang vergeblich, dem Rechner etwas sinnvolles zu entlocken. Als das nicht fruchtete, siegte endlich der Bastlertrieb und er begann den Rechner zu zerlegen- hier gab es auf jeden Fall recht wertvolle Komponenten zum Ausschlachten.
Harmagedon Link to heading
Eine hektische Aktivität am Tor kündigte den Untergang von Ylkis an. Die großen Philosophen von Tryl, so auch Kyr, erahnten den bevorstehenden Weltuntergang und erkannten ihre Machtlosigkeit. Gegen eine geistig unentwickelte Gottheit half weder Auflehnung noch Logik, eine Verständigung war mit ihr nicht möglich. So verbrachten sie die Ihnen verbleibenden Zyklen mit Gebeten und der ungewissen Hoffnung auf eine Wiedergeburt ihrer stolzen Zivilisation.
Als Harri Panne die Speicherchips zog, hörte Ylkis aber für immer auf zu existieren.